Montag, 30. Dezember 2019




wir nannten ihn


menschsein ist brennen
der nachbar von vierzig jahren
ist tot
die nacht war schon lang
auf dem weg
und schwieg
niemand kannte ihn gut
aber klar war sein menschsein
ist brennen
der letzte funke
stieg auf
während ein leichtes tuch
ihn begrub
das jahr rollt aus
ein leben desgleichen
die nacht ist schon lang
auf dem weg gewesen
sie schwieg ganz klar
weil mensch brennen muß
wir nannten ihn dracula
wie uns auch




Sonntag, 22. Dezember 2019




mittwinter


die nacht zaudert lange
das feld zu räumen

wir gleicherweise feilschen
um letzte wärme
in dunklen höhlen

denn leben will draußen
mit leben zündeln

in alles
nicht abgeschlossene hinein

und treibt die worte an
vor sich her
im hellen wahn




Freitag, 13. Dezember 2019





die tage reisen
mit mir
wie sie wollen
ihnen gefällt es
sie geben sich
alle mühe
ungestört
endlich




Dienstag, 3. Dezember 2019




laß uns
einen winkel

finden um uns
abzulegen

im grunde
spricht es

wir sind
im weg





Donnerstag, 21. November 2019




partikel


wenn ich nach abertausenden jahren
hier am ufer stehe
wird alles aus mir
verschwunden sein

hunger wird sein
mich zu erfüllen
der mich jetzt flieht

wem werde ich begegnen
wir werden kollidieren
ins leere hinein
wo es endlich nichts mehr gibt




Donnerstag, 7. November 2019




bis der tag
von selbst sich ergibt

auch das meer weiß noch immer nicht
wohin

dies hier
ist der kürzere weg

von weit her
sind wir

noch weit
ist zu gehen




Freitag, 25. Oktober 2019




außer atem


ich setze mich
ins geschehen
zusammen
auseinander ich
muß mich setzen
meine schritte
führen
zur sitzbank wo
jemand sitzt
und wartet
zusammen
setzen wir
die welt
zusammen
auf ihren platz
auf unseren platz
an unsere stelle
und gehen




Montag, 14. Oktober 2019




sich abfinden
ging nicht
und doch ging
alles weiter

sich die nacht
um die ohren schlagen
wegen eines gedichts
kommt nicht mehr vor

das herz?
wie soll ich sagen
es schlägt




Freitag, 4. Oktober 2019




herbst


uns gehen die jahreszeiten aus
daß sie wiederkehren sagt sich
nur so dahin
mangels beweises
stehen wir ab aber
der geruch von erde
ist nicht furchtbar
da ist ein zutrauen
unveräußerlich und neues
ist an diesem sonntag nur
aus alten büchern zu erfahren
kein grund sich gejagt zu fühlen
auf dem papier




Dienstag, 24. September 2019




starr
gerichtet
auf objektive öde
bist du da
nicht um dazuzutun
um nicht dazuzutun

das herz schlägt

uns tot

im unterholz wachsen
moose
für einen augenblick
durch die katze
sieht dich
etwas anderes an




Mittwoch, 11. September 2019




meist folge ich
aus der ferne
einem
herzen
meinem oder auch
deinem steh
abseits
am rande
so ist es immer
klein ja handlich
wenn ich es seh




Samstag, 24. August 2019




dies ist kein gedicht


ein gedicht ist im moment
nicht drin
das ego beim häkeln
ergeht sich in bitterkeit
und kleinen triumphalen
scenarios
zu seinem trost
kein platz für gedichte
bündig da gebunden
an so etwas wie
wahrhaftigkeit
in lügnerischer zeit
gigantomanischer besoffenheit
das mußte mal raus
wenn auch in der falschen form
zum großen bogen
reicht die spannkraft nicht aus
für mich falls vorhanden
ist kein raum in mir
für mein gedicht suche ich
nach einem ort
weit fort




Samstag, 17. August 2019




wer gibt mir
die pranke
die klaue

schleppt mich davon

niemand 

erwartet
mehr pfötchen
gar hand

das war einmal
im li la land

wer gibt mir
den rest

ruh im karton




Sonntag, 4. August 2019




auf der höhe


ein satz
auf dem weg zum punkt wie kommt es
daß die eroica nie ermüdet

aus dem foto blickt jemand
seinem betrachter ins auge
der er selbst ist

und die vielen kleinen vögel am himmel
schwingen eine schrift hervor
die der wind in uns liest

wie kam ich hierher wer nimmt sich
der vergangenen gedanken an vieles
können wir uns nicht vorstellen

den ewigen winter zum beispiel
in den sie uns betten

betten





Dienstag, 23. Juli 2019



broder eskil


vor den resten des einstmaligen
steht in diesen scheinbar helleren tagen
der kleine mönch bereit
wie ein vogel in seinem nest aus blüten
und träumt seit tausend jahren
vom entkommen vom fliegen
hinauf in eine bessere welt
ein kleines bißchen rund und schwer
ist er das macht der granit
zuteil wurde ihm sein teil
wie allen menschen
denn er ist ein mensch wie alle
doch mit einem unterschied
versonnen im gebet
ist im stein ein lächeln
er hatte gehört gehorchte einem geheiß
ganz sicher hat er die bücher geliebt     
und tag für tag liebevoll daran geschrieben
irgendwie sehe ich dich in ihm
doch dein lächeln ist ein wenig
trauriger ich weiß


für otto zum geburtstag

(die kleine skulptur ist von nils f. hall und steht in ystad, schweden)




Freitag, 19. Juli 2019




schlamm


sich selbst auf immer
rätsel sein dunkel in das sich einer
umsetzen kann läuft
mit halb ausgekugelter seele herum
fällt in seinen schatten den er nicht erkennt
weil er auf einer pfütze liegt mit dem himmel darin
sinkt immer tiefer in sich hinein
gibt die wenigen ausgeliehenen worte
pfleglich behandelt mit dank zurück
an jenes zirpende pfeifende dröhnende schweigen
seinen platz der auch nur darum seiner
weil er keinen andern hat
was heißt am ende schon unantastbar
und ist da irgendwo ein keim?




Dienstag, 2. Juli 2019




wenn zwei alte schachteln
beieinander sind
fragt die eine – ohne krücke
die andere – mit krücke
geh ich zu schnell?
hat die eine ein neues
foto von sich so fragt sie
sentimental?
und die andere nickt
und schüttelt den kopf
gleichzeitig
eigentlich
haben sie es ganz
vergnüglich




Freitag, 28. Juni 2019




gare d´austerlitz, le quatorze juillet 1970


die rückfahrkarte
in der verschwitzten hand
nie erfahren
ob es der falsche bahnsteig war
denn an allen standen züge
zehn an der zahl
mit demselben ziel
abfahrt zehn uhr zehn
alle fuhren ab
zu ihrer zeit
alle kamen an




Dienstag, 18. Juni 2019




juni


auch dieser dienstag erweist sich
von einer bestimmten
wenngleich nicht erkennbaren
ordnung einem grün
aus dem keiner schlau wird

die lastwagenriesen
deren luftverdrängung mich fast von der straße fegt
zählen nicht die rastlosigkeit des rattenrennens
entgleitet spurlos etwa aufgewirbelter staub
legt sich

uns gehört nichts doch wir gehören
allem an unabgeschlossene

...




Donnerstag, 6. Juni 2019




gelöst


ein kind saß reglos
da nur seine lippen
bewegten sich als erzählten sie ihm
eine geschichte

wie

einmal eine volle minute lang
nicht von vorn nicht von hinten
an seinem fahrrad rauschte
ein auto vorbei
es war still und leer und auf den fluren
schwebte vielleicht ein geist

dann stellten kaufkraft und pferdestärken
alles wieder richtig

da ist wandern und suchen
nach himmelsrichtungen
doch regen fällt mühelos allein
durch sein schwergewicht
und dort ist wohl auch der sinn geblieben





Sonntag, 26. Mai 2019




ohne


auf einmal ist dieser ort
ein anderer die farben
der häuser die luft der regen
anders meine stimme als sie
die nachbarin mit den sechs hunden grüßt

die gerade ins auto steigt
auf dem weg zu wer weiß welchen
unbekannten abenteuern -

zu gast
an einem fremden
ort auf der durchreise

mit dem recht
zu beobachten frei  
in augen zu blicken in der gewißheit
woanders
zu hause zu sein




Sonntag, 19. Mai 2019




im mai


wächst meine buche auf mich zu
füllt sich aus
wird mich einst umfangen
ich werde zurück sein
im hellgrünen raum
mir wird nichts mangeln





Samstag, 11. Mai 2019




begegnung


flüchtig seitlich
bringen wir unsere leben dar
so findet sich alles
ein caffe latte
die tür geht auf
das schöne schneit herein
dünne fäden fliegen
niemand weiß was sie trägt
was sie tragen
habe schon entschieden
in diesem augenblick
altern wir nicht
nur gestern und morgen wollen wie immer
das sagen haben




Samstag, 27. April 2019




nachweislich


rita und jutta die beiden puppen
wie kamen wir neulich drauf
nur so sie hießen schon so
als wir sie  bekamen
meine war jutta sie hatte keine
ähnlichkeit mit mir
oder vielleicht lag es auch an mir
daß ich keine ähnlichkeit mit ihr hatte
was macht das schon
mit einem
es fehlte mir immer
an gutem willen
ich hätte zweifellos sein können
wo die fenster im dunkeln
still glücklich leuchten
die gedanken schweifen ein wenig
wie fängt man es an
hier anzufangen
dort aufzuhören
ich war kein kind mit dem himmel
unterm arm
doch wenn man´s bedenkt wird umgekehrt
erstaunlicherweise
doch noch ein schuh draus




Donnerstag, 11. April 2019




alchemie


das wäre ja
noch schöner neue
töne
erlösen
was
willst du einlösen
dafür
deinen schrank
dein bett alles
ist möglich
ich scheine
freundlich
das scheint
nur so
ich bin
sozusagen
da
maßlos
grenzenlos
da




Sonntag, 31. März 2019




brief


der plattenteller dreht sich
ich habe diese zeit
lange in mir getragen
der baum vor dem fenster
ging dabei in die breite    
doch von meinen ausflüchten
komme ich mit immer weniger zurück
der traum wird wahr
einmal heimzukehren
wo nichts mehr ist
der plattenteller dreht sich
ich betrachte eine blume ob sie sich
vor meinen augen
in das eigentliche verwandelt
mich abzulösen

durch dich hindurch
umarme ich dich




Donnerstag, 21. März 2019




mir nach


so vieles
immer weniger
zu erklären
nicht fragen
die zeit schließt sie alle
und die besten momente
ganz abgrund schlingend
bis alles verschlungen

mein fahrrad trägt mich
aus der hüfte
in die lüfte
in die weiten
ins geschiebe
der platten zerrieben
muß ich mich wieder
selber tragen




Samstag, 9. März 2019




mehrzahl


die gestalt kommt wieder gegangen
einst befreite ich sie von mir
sie horcht auf den ton der stille
ist selbst ein ton in ihr
vieles mochte fehl getan sein
ein blick der enttäuschung traf die larve
nun stehen die bäume der gegend herum
da kein wind sie bewegt
da nichts mehr treibt um man kann sagen
die wir waren passierten
schlafen
und tun so als wüßten sie
was zu tun




Sonntag, 24. Februar 2019




die erde dreht sich
steil hinab
ins dunkel
der horizont erhebt sich
über die sonne

ein verlorener silberling
im all

manchmal hoffe ich noch
es werde
erhört
wie ich hoffe





Montag, 18. Februar 2019




inkarnation


vielleicht fange ich an
mit diesem frühjahr
oder gab es da
schon andere und ist es
meine wahl vielleicht
hin und her gehn
zwischen den fenstern über
eine schwelle
dann eine andere
stehenbleiben sich umsehn
die aussicht erwägen
wissen
du kommst nicht mehr hin
dabei
hättest du einen leib vielleicht
ginge er mit dir




Samstag, 9. Februar 2019




bedenkelich


die tage mit denen
ich zu rechnen hatte
fallen rücklings ab
eine weile überlappen
die kreise sich
dann kreist wieder jeder
allein in seiner bahn

so ist es zu passieren
doch wurde mir versprochen
wenn mein gedächtnis
nicht allzu lose trügt
einst werden zwei esel
zwischen sich
hinein in die berge mich tragen




Donnerstag, 31. Januar 2019




aber nicht alles


ich war
so frei
das war
68
jetzt bin ich
68
das meiste
vorbei
irgendwo
kläffen sie noch
im leerlauf




Mittwoch, 23. Januar 2019




kein grund


kann sein weil ich nicht mehr
so scharf sehe
haben sich die trennungslinien
aus dem staub gemacht

aber auch der paternoster
steht still und kein
fehltritt wird mehr
unterlaufen

draußen bist du angesiedelt
so wie ich dein
verursacherprinzip
das es nicht wirklich besser wußte




Mittwoch, 16. Januar 2019




wie schnell es dunkelt
wenn regen fällt
wie kurz der weg
der lang gegangne
schatten in denen
du dich gesehen
schwinden sind
nie dagewesen
sie machen sich ja
kein bild




Dienstag, 8. Januar 2019




anwandlung


sieh vorbei
schau mich nicht an

einmal frei
wer denkt noch daran

getan ist getan
was wir getan

alles vorbei

um sich schlagen
schlug nicht an

allerhand
abhanden kam

schlage nun um mich
meine schwingen

schau mal vorbei